Besuch bei Gericht

Nach Einführung des Mindestlohns (8,50 pro Stunde) zum Jahresanfang hatte der Arbeitgeber versucht, das Gesetz zu erfüllen, ohne Lohnerhöhungen vorzunehmen: Er setzte einfach die Zeit des Zustellers so fest, dass ein Mindestlohn dabei rauskam. Für Jürgen Schlüns hätte das bedeutet, dass er für das Zeitungsaustragen jeden Tag in nur 52 Minuten bezahlt bekommen hätte, obwohl er tatsächlich viel länger unterwegs war. Jürgen Schlüns: „Verlangt habe ich 92 Minuten, die ich normalerweise brauchte. Kamen Werbesendungen an alle Haushalte hinzu, waren das an dem Tag 35 Minuten mehr. Mir wurden dann (komischerweise nach den ersten beiden Fernsehsendungen) sogar 96 Minuten zugebilligt und für Januar auch nachbezahlt. (…) Das war der Druck der Medien.“

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Beim Arbeitsgericht ging es darum, sich „außergerichtlich“, d.h. ohne Urteil, zu einigen: Jürgen Schlüns wollte keine fristlose Kündigung akzeptieren, sondern verlangte, entsprechend einer ordentlichen Kündigung bis Ende Juni, sein Gehalt auf Basis der tatsächlich notwendigen Arbeitszeit zu bekommen. Der Arbeitgeber war der Meinung, dass er den Zusteller korrekt nach den Vorgaben des Mindestlohngesetzes bezahlt habe. Verlag und Zustellgesellschaft wollten unbedingt vermeiden, dass es zu einem Prozess kommt, bei dem sie möglicherweise wegen Verstoßes gegen das Mindestlohngesetz hätten verurteilt werden können. Denn ein solches Urteil hätte dann allen Zustellern die Möglichkeit gegeben, gerechtere Löhne einzuklagen. Und das würde teuer… So gab es für den Arbeitgeber einen großen Druck, sich zu einigen. Und siehe da: man einigte sich dann auch. 

Den Kolleginnen und Kollegen, die weiterhin Zeitungen austragen, ist mit dieser Einigung nicht geholfen. Sie müssen weiterhin individuell bei ihrem Arbeitgeber darauf dringen, dass sie ihren Mindestlohn erhalten. Obwohl die Zustellgesellschaft ja der Meinung ist, alle 1900 Zusteller wären mittlerweile zufrieden und glücklich. Jürgen Schlüns: „Meine Kollegin in Witzwort erhält diese Zeit garantiert nicht. Ich weiß, dass sie heute noch nur 59 Minuten bezahlt bekommt, obwohl auch sie mindestens 90 Minuten unterwegs ist. Sie wird seit Januar nur vertröstet.“ Jürgen Schlüns erhält zwar seinen Lohn bis Ende Juni ausbezahlt, muss aber seinen Anwalt selbst bezahlen, so dass ihm davon nicht allzu viel übrig bleibt.

Angela Jansen

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